Noch namensloser Pilz

#1
Liebe Fachgemeinde,

gestern am 30.5.2020 fand ich im Buchenwald bei Hadersdorf in Wien wieder mal einen Pilz, der mir seinen Namen nicht verraten möchte.

Zuerst dachte ich an Pholiota lenta (Tonweisser Schüppling). Der bittere Geschmack und die relativ dunklen Lamellen sprechen aber dagegen und die Sporen des aufgefundenen Pilzes sind für Pholiota lenta deutlich zu groß.

Der bittere Geschmack und die Jahreszeit ließen mich auch gleich an Agrocybe praecox und Agrocybe (Cyclocybe) erebia) denken. Es fehlen aber die Ringstrukturen (durch Regen abgewaschen?) und die weissen Flocken im oberen Stielbereich sprechen sehr dagegen. Agrocybe praecox hat so wie ich ihn kenne insgesamt auch mehr gelbbraune Farbkomponenten.

Oder könnte es sogar eine Hebeloma-Art (Hebeloma birrus bzw. H. laterinum) sein? Passt zwar gar nicht zur Jahreszeit, aber die Witterung der letzten Wochen ja auch nicht. Der wurzelnde Stiel und die Sporengröße würden zumindest auf H. birrus oder H. laterinum hinweisen.

Wo ist ein Denkfehler? Oder ist es vielleicht ganz etwas anderes?

Leider fand ich nur einen Pilz mittleren Alters, der sich wie folgt beschreiben lässt:

Substrat: Buche, auf Modererde
Geruch: angenehm pilzig
Geschmack: mäßig bitter
Hut: konvex, 45 mm, lebhaft braun, gelifiziert-schmierig, ganz am Rand leicht durchscheinend gerieft, stellenweise feine weisse Velumsflocken angedeutet, Hutrand eingerollt
Stiel: 75x7-12, hohl, oben weissflockig, Mitte braun gerillt, unten mit einer Art Volva und wurzelnd
Lamellen: ausgebuchtet angewachsen, dichtstehend, mit Zwischenlamellen unregelmäßig gewellt, graubraun
Sporen: 8,25-9,75x4,5-5,5ym, amygdaloid, mit vergleichsweise großem Apikulus, Keimporus?, Ornamentierung erkennbar, in Melzer deutlich dextrinoid
Zystiden an Lamellen: durchschnittlich 10x60, fusiform, nur vereinzelt zu finden
Basidien: meist 20-25x7-10, (zwei- oder) viersporig
Huthaut: unter parallel liegenden Hyphen sind dickere pigmentierte Strukturen erkennbar

Ich habe die Lamellen auch mit Lugol angefärbt und es zeigte sich vor allem in den Basidien eine starke dunkelblaugraue Reaktion, was mir in der Durchsicht meiner Literatur aber auch nicht wirklich weiterhalf.

Hier die Fotos des Unbekannten:

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Schöne Grüße und danke für eure Fachmeinungen!

......und falls der Pilz wieder mal als Unbekannter verbleiben muss, so war es doch wieder mal eine schöne Zeit im Wald und eine kleine Literaturstudiums- und Mikroskopierübungspraxis an einem verregneten Tag zuhause.....

Christian
Zuletzt geändert von christian-ap am 01.06.2020, 20:53, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Noch namensloser Pilz

#2
Lieber Christian,

ich würde das ebenfalls für einen Fälbling halten. Aufgrund des wurzelnden Stieles und des sich anscheinend ablösenden Perispors der Sporen (zumindest auf einer Spore kann man das m. E. erkennen) könnte m. M. n. schon etwas rund um H. birrus in Frage kommen, wobei die Sporenlänge stark an der unteren Grenze für diese Art ist. Zur Fälblings-Bestimmung ist es immer wichtig, sich die Sporen in Melzers Reagenz anzuschauen (wie stark dextrinoid?), auf das sich möglicherweise ablösende Perispor zu achten sowie die Form und ungefähre Länge der Cheilozystiden gut zu dokumentieren. Ich denke nicht, dass die von dir beobachteten fusiformen Elemente wirklich die Cheilozystiden waren.

Schöne Grüße
Gernot

Re: Noch namensloser Pilz

#3
Lieber Gernot,

danke für deinen fachlichen Input und die Unterstützung.
Ich habe den Pilz nochmals mikroskopiert: Die Sporen sind mit Melzer deutlich dextrinoid (2.Bild unten) und bei einigen Sporen löst sich das Perispor ab (wenn ich die Bilder richtig interpretiere).

Nach dem Schlüssel in Funga nordica für Hebeloma passt der Pilz daher auf alle Fälle in die Sektion Myxocybe und hier am besten zu Hebeloma birrus. Mit all den noch bestehenden Unsicherheiten gebe ich dem Pilz mal den Namen Hebeloma cf. birrus. Bei Hebeloma bin ich froh wenn ich immerhin soweit komme.

Darf ich noch eine (Anfänger)frage zu den Cheilozystiden bzw. Zystiden ganz allgemein stellen (siehe drittes Foto). Können Zystiden aus dem Trama rausfallen, sodass beiden Enden sichtbar werden (meist sieht man ja nur ein Ende) oder ist das fusiforme Gebilde etwas ganz anderes? Leider fand ich beim zweiten Mikroskopierversuch keine Zystiden mehr.

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Danke auch für deinen neuen Beitrag der Exkursion nach Modriach. Wunderschöne diese Formen- und Farbenvielfalt insbesondere bei den Becherlingen!

Schöne Grüße!

Christian

Re: Noch namensloser Pilz

#4
Lieber Christian,
Deinen Fund halte ich ebenfalls für H. birrus. Passt gut. Wenn ich bei Hebeloma die Zystiden ganz anschauen möchte, dann nehme ich nur ein ganz kleiner Stückchen der Lamelle, gebe es genau in die Mitte unter das Deckglas und klopfe dann auf dieses ganz vorsichtig spechtartig mehrfach drauf (Radiergummi, Präpariernadel...) bis die Lamelle gespreitet ist. Dann kann man auch die Basis der Zystiden erkennen. Und nicht ärgern, wenn mal das Deckglas bricht.

LG
Irmgard